Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung haben der vom Bundessozialgericht (BSG) in seinen Urteilen vom 29.08.2012 – B 12 KR 25/10 R (USK 2012-145) und B 12 R 14/10 R (USK 2012-182) – vertretenen Rechtsauffassung angeschlossen, wonach bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung von mitarbeitenden Angehörigen in einer Familien-GmbH die familiäre Verbundenheit oder Rücksichtnahme grundsätzlich nicht geeignet ist, die Rechtsmacht, wie sie sich nach dem Gesellschaftsrecht ergibt, gänzlich zu negieren. Darüber hinaus kann die sich aus dem GmbH-Gesellschaftsvertrag ergebende Rechtsmacht auch außerhalb einer Familien-GmbH nicht durch „Fiktionen“ beseitigt werden, die aus den tatsächlichen Umständen hergeleitet werden.

Die Anlage 3 des gemeinsamen Rundschreibens zur Statusfeststellung von Erwerbstätigen vom 13.04.2010 zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern, Fremdgeschäftsführern und mitarbeitenden Gesellschaftern einer GmbH sowie Geschäftsführern einer Familien-GmbH wurde deshalb überarbeitet. Siehe nunmehr Niederschrift der Besprechung des GKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 09.04.2014.

Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine „Beschäftigung“ vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abgedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung, so wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung, so wie sie rechtlich zulässig ist.

Fremd-Geschäftsführer

Bei Fremdgeschäftsführern, die nicht am Stammkapital der GmbH beteiligt sind, liegt nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich ein abhängiges und damit sozial-versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vor, weil sie den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterliegen.

Gesellschafter-Geschäftsführer

Erfolgen Beschlüsse der Gesellschafter nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 47 Abs. 1 GmbHG) und richtet sich dabei das Stimmrecht des einzelnen Gesellschafters nach der Höhe seiner Geschäftsanteile, hat ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der mindestens über 50 % des Stammkapitals verfügt, grundsätzlich einen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der GmbH.

Dies trifft auch auf einen Gesellschafter-Geschäftsführer zu, der zwar über weniger als 50 % des Stammkapitals verfügt, aber aufgrund besonderer Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag sämtliche Beschlüsse der anderen Gesellschafter verhindern kann (umfassende Sperrminorität). Beide haben insbesondere die Rechtsmacht Beschlüsse zu verhindern, die ihr Dienstverhältnis benachteiligen würden, so dass in diesen Fällen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis von vornherein ausscheidet. Eine nur eingeschränkte Sperrminorität, die nicht auf alle Angelegenheiten der Gesellschaft Anwendung findet, schließt ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis hingegen nicht von vornherein aus.

In Fällen, in denen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis aufgrund der Kapitalbeteiligung oder besonderer Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag nicht von vornherein ausgeschlossen ist, spricht die insoweit fehlende Rechtsmacht für eine persönliche Abhängigkeit und damit grundsätzlich für eine abhängige Beschäftigung. Es ist jeweils individuell nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung zu prüfen, ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt.

Familiäre Verbundenheit oder Rücksichtnahme

Die familiäre Verbundenheit oder Rücksichtnahme in einer Familien-GmbH ist grundsätzlich nicht (mehr) geeignet, die Rechtsmacht, wie sie sich nach dem Gesellschaftsrecht ergibt, gänzlich zu negieren. Das BSG hatte zwar in der Vergangenheit in seiner Rechtsprechung auch für den Fall, dass der Geschäftsführer einer Gesellschaft nicht zumindest über eine Sperrminorität verfügte, eine selbstständige Tätigkeit des Betroffenen für möglich erachtet, wenn dessen Tätigwerden innerhalb einer Gesellschaft durch eine besondere Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen geprägt war. In den Urteilen aus 2012 konnte der für das Versicherungs- und Beitragsrecht zuständige 12. Senat des BSG zwar offenlassen, ob er (gegebenenfalls modifiziert beziehungsweise auf atypische Sonderfälle beschränkt) dieser Rechtsauffassung folgt oder ob er – wofür seiner Ansicht nach einiges spricht – der aus gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben entspringenden Rechtsmacht als Teil der tatsächlichen Verhältnisse größere Bedeutung beimisst. Für letzteres spricht nach Auffassung des 12. Senats, dass entscheidender Gesichtspunkt für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit anstelle einer formal vorliegenden (abhängigen) Beschäftigung auch im Zusammenhang mit Familiengesellschaften die Möglichkeit ist, unliebsame Weisungen des Arbeitgebers beziehungsweise Dienstberechtigten abzuwenden. Dies mag aufgrund familiärer Rücksichtnahme solange der Fall sein, wie das Einvernehmen der Familienmitglieder gewahrt bleibt. Im Falle eines familiären Zerwürfnisses zwischen den Beteiligten käme jedoch allein die den einzelnen Familienmitgliedern zustehende Rechtsmacht zum Tragen, so dass auch nach den gelebten tatsächlichen Verhältnissen eine Weisungsunterworfenheit bestünde. Eine solche „Schönwetter-Selbständigkeit“ sei, so der 12. Senat des BSG, mit Blick auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände schwerlich hinnehmbar.

Keine Beseitigung der fehlenden Rechtsmacht durch anderweitige Fiktionen

Im Hinblick auf die Ausführungen des BSG in seinen Urteilen aus 2012 sind die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung der Auffassung, dass neben familiärer Verbundenheit oder Rücksichtnahme in oder auch außerhalb einer Familien-GmbH bei der Gesamtabwägung die sich aus den bindenden Regelungen des GmbH-Gesellschaftsvertrags beziehungsweise ergänzend des Anstellungsvertrages ergebende Rechtsmacht nicht durch „Fiktionen“ beseitigt werden kann, die aus den tatsächlichen Umständen hergeleitet werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Anstellungsvertrag nicht mehr an Kompetenzen vermitteln kann als es der Gesellschaftsvertrag zulässt. Die Abbedingung von Regelungen im Gesellschaftsvertrag ist an die notarielle Form gebunden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Daher kann es weder eine formfreie noch eine faktische Gestaltung des Gesellschaftsvertrages geben. Es kommt daher nicht (mehr) darauf an, ob ein Gesellschafter-Geschäftsführer, Fremdgeschäftsführer, mitarbeitender Gesellschafter oder Geschäftsführer einer Familien-GmbH „Kopf und Seele“ der GmbH ist, alleiniger Branchenkenner ist oder in der GmbH faktisch frei schalten und walten kann wie er will, weil er die Gesellschafter persönlich und oder wirtschaftlich dominiert.

Selbstkontrahierungsverbot, Alleinvertretungsberechtigung

Die Alleinvertretungsberechtigung und die Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot nach § 181 BGB sind bei kleineren GmbH nicht untypisch und sprechen deshalb nach Auffassung des BSGE beziehungsweise der Spitzen-verbände nicht zwingend für eine selbstständige Tätigkeit.

Gleichmäßig beteiligte Gesellschafter-Geschäftsführer

Die Personenidentität von gleichmäßig beziehungsweise nahezu gleichmäßig beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführern einer GmbH ändert an der fehlenden Rechtsmacht der Gesellschafter und der Weisungsgebundenheit der Geschäftsführer nichts. Der im Arbeitnehmer-/Arbeitgeberverhältnis fehlende typische Interessengegensatz bei Personenidentität wird vom BSG nicht (mehr) als geeignetes Abgrenzungskriterium angesehen.

Dr. jur. Ernst Mackh (Fachanwalt für Arbeitsrecht)

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